Usui definierte Reiki als den Weg zu Glück und Wohlbefinden. Und genau dies
streben wir alle an, wenn wir uns regelmäßig Reiki geben. Wir wollen uns wohl
fühlen mit uns selbst und mit dem, was das Leben uns schenkt. Und wir wollen
Glück erleben, zufrieden und glücklich durch's Leben gehen.
Das klingt so einfach und ist doch so schwer. Es kann auch kein allgemein
gültiges Rezept zum Glücklichsein gegeben werden, denn jeder steht an einem
anderen Punkt in seiner Entwicklung, der eine versucht das allererste Mal, sich
zu entspannen, und der andere meditiert seit langem jeden Tag drei Stunden. Und
doch, in meiner langjährigen Behandlungspraxis konnte ich bestimmte Prozesse und
Lernaufgaben immer wieder feststellen und begleiten. Je nachdem, wo wir in der
eigenen Entwicklung stehen, bedeutet gut zu sich selbst zu sein, etwas ganz
anderes.
Und so möchte ich aus meiner Arbeit und auch aus meinem eigenen Lernprozess ein
paar Beobachtungen mit dir teilen.
Zu Beginn des Weges der Selbsterfahrung ist es für die allermeisten grundlegend
wichtig, überhaupt erst einmal wieder fühlen, sich selbst spüren zu lernen. Das
Leben wird nur noch im Denken erfahren, die eigenen Rechtfertigungsstrategien,
Zweifel, Verurteilungen bis hin zu selbstzerstörerischen Denkweisen bestimmen
das ganze Leben. Die Ursache für die Probleme wird nur in anderen und nicht in
sich selbst gesehen. Die Erfahrungen der Kindheit haben bei vielen Menschen dazu
geführt, daß ein glückliches und zufriedenes Dasein in weite Ferne gerückt ist.
Gut zu sich selbst zu sein, bedeutet dann, erst einmal wieder Verbindung zu sich
selbst aufzunehmen, die Gefühle wieder zu spüren, verdrängte und kompensierte
Gefühle aufzudecken, sich in der Entspannung beim Reiki einen Raum zu geben, in
dem alle Gefühle, auch die weniger gesellschaftsfähigen, einmal sein dürfen. All
das, was in der Vergangenheit nicht geheilt und bewußt wieder losgelassen wurde,
vieles, was verdrängt, zurückgehalten und unterdrückt wurde, muß zunächst einmal
wieder bewußt gemacht, gefühlt, noch einmal erlebt werden. Schicht um Schicht
abzutragen, bis die Atmung wieder frei und alle Muskelpartien wieder entspannt
sind. Schuldkomplexe, Minderwertigkeitsgefühle, die verschiedensten Ängste, es
sind einige Hindernisse zu überwinden, um sich überhaupt erst einmal wieder
authentisch fühlen zu können. Viele Menschen mußte ich aus der Ohnmacht in die
Wut und dann weiter in die souveräne Meisterung von Konfliktsituationen führen.
Gar mancher (Verzweiflungs-)Schrei war im Halse stecken geblieben und mußte
raus. Das innere Kind, der kleine Junge, das kleine Mädchen, war verloren
gegangen und mußte erst wieder gefunden werden. Manchmal war der Schmerz so groß
gewesen, daß sich dieser Teil aus der bewußten Persönlichkeit völlig entfernt
hatte. Das, was der Heilung bedarf, ist gar nicht mehr in Körper oder Psyche
anwesend, und muß gezielt mit einer Technik des Zurückholens verloren gegangener
Seelenanteile eingefangen und integriert werden.
Der nächste Schritt ist dann, sich mit all dem, was da ist, gut und böse,
liebevoll anzunehmen. Erst dann, wenn ich den Schatten liebevoll angenommen
habe, führt er nicht mehr sein eigenwilliges Dasein als Störenfried, sondern
kann transformiert werden. Und dann gilt es, positive, lebensbejahende,
konstruktive Muster einzuüben. Das geht mal leicht, dann wieder mit Rückfällen
in alte Geschichten, das Mentalsymbol kann uns dabei eine gute Unterstützung
sein. Sei gut zu dir, das ist gar nicht so einfach. Was ist denn wirklich gut
für mich?
"Sei gut zu dir" bedeutet in dieser Phase der Entwicklung, akzeptiere dich erst
einmal so, wie du bist, höre auf damit, dich selbst klein zu machen, wie dein
Vater oder deine Mutter dies mit dir getan haben. Das ist ganz schön schwer,
denn derlei Denkweisen haben wir oft schon mit der Muttermilch übernommen. Eine
Ablösungszeremonie von Mutter und Vater kann da einiges erleichern und neue
Perspektiven aufzeigen. So viele Eltern-Kind-Beziehungen sind manipulativ,
erdrückend und wenig liebevoll gewesen, auch Mißbrauch ist ein häufiges Thema.
Reiki kann dabei die Therapie wunderbar unterstützen, weil wir gleichzeitig zur
Arbeit an unserem Schatten einen sehr positiven, liebevollen und friedvollen
Input erhalten.
Vertrauen ist ein ganz wichtiger Punkt, auch in den Reiki-Lebensregeln heißt es:
sorge dich nicht! Immer wieder zehren Mißtrauen und alte Ängste oder die
Zweifelsucht, die eine Form von Haß ist, jeden neuen positiven Impuls auf.
Geduld, liebevolle Geduld mit sich selbst ist eine Eigenschaft, die wir
entwickeln müssen. Überhaupt müssen wir lernen, uns selbst eine gute liebende
Mutter, uns selbst ein gütiger, manchmal aber auch strenger Vater zu sein.
Integration ist das richtige Stichwort, nicht Ausgrenzung und Selbstbestrafung,
sondern alles, was in mir ist, mit Hilfe von Reiki anzunehmen und an den rechten
Platz bringen.
Erst wenn wir die Themen mit Vater und Mutter aufgelöst haben, Anima und Animus
an ihren Platz kommen und bewußt greifbar werden, wenn wir uns selbst wieder
lieben können, dann, aber auch erst dann, können wir die spirituelle Entwicklung
angehen, uns nach oben hin orientieren, die höhere Führung und Inspiration
empfangen, ja, dann fangen wir gelegentlich an, zu fliegen. Dann beginnt aber
auch ein Weg mit anderen Maximen, mit den Themen der Selbstdisziplin und
Selbstläuterung. Dann heißt es nicht mehr, allen Gefühlen ihren Raum zu geben,
sondern gezielt und achtsam die Gefühle und Gedanken neu auszurichten und
jegliche Ichbezogenheit zu überwinden. Der Pfad der Selbstmeisterung, der Weg
des WuWei, des Nicht-Handelns. Mitgefühl und selbstlose Hinwendung zu anderen
sind dann das, was wir anzustreben haben, das gute Herz muß entwickelt werden,
egal, ob es ein christliches, buddhistisches oder schamanisches ist.
Wenn also das eigene Wesen ein gewisses Maß an Stabilität und Klarheit und
Integration erreicht hat, wenn die Psyche uns beständig positive Impulse zur
Meisterung des Alltags geben kann, dann erst beginnt der Pfad der Läuterung und
Höherentwicklung, wobei sicherlich auch in der Anfangsphase die Hinwendung zum
göttlichen Licht hilfreich sein kann, also keine ganz klare Trennlinie zu ziehen
ist. Oft wollen wir allerdings schon höher, weiter, heiliger sein als wir es
tatsächlich sind. Das ist nicht hilfreich, denn unser Schatten holt uns doch
wieder ein. Sei gut zu dir, bedeutet also, aufrichtig zu sein und ohne
Beschönigung den eigenen Entwicklungsstand klar zu sehen. Das, was ich im
äußeren Leben gespiegelt bekomme, zeigt mir, wo ich in meiner Entwicklung stehe.
Manche wollen dies einfach nicht sehen bzw. hören, sie bleiben unbelehrbar, und
demzufolge machen sie überhaupt keine Fortschritte in ihrem Heilungsprozess.
Reiki führt uns, wenn wir wieder gelernt haben, uns zu entspannen, uns fallen zu
lassen, in höhere Bewußtseinszustände und läßt uns unendlichen Frieden, inneres
Glück erleben in einer Form, wie wir dies zuvor nie gekannt haben. Besonders
lichtvolle Momente offenbaren uns das wahre Sein. Und wenn wir geduldig und
diszipliniert dran bleiben an der täglichen Praxis, dann wird diese besonders
lichtvolle Erfahrung, die wir z.B. bei einer Einweihung gemacht haben, nach fünf
oder zehn Jahren unser Alltag sein. In dieser Phase der Entwicklung heißt es
dann nicht mehr, einfach all den Gefühlen, wie auch immer sie sein mögen, ihren
Raum zu geben, sondern ganz im Gegenteil, jenseits davon, in der Welt, aber
nicht mehr von der Welt zu sein. Die Ursachen für die Probleme werden nur noch
im eigenen Innern gesucht und nicht mehr auf die Außenwelt projiziert. Dann geht
es darum, die Nichtigkeit, die Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit all der
ichbezogenen Impulse zu durchschauen, ihnen nicht mehr auf den Leim zu gehen.
Wir lösen uns aus dem Kollektiven, was eine sehr, sehr einsame Phase ist, um
dann den Weg der inneren Wahrheit zu gehen. Das, was wir entwickeln wollen, ist
zunächst noch hinter dem Schleier verborgen, wird nur gelegentlich sichtbar.
Unser göttliches, ewiges Wesen ist noch nicht greifbar. Da müssen wir
ehrfürchtig um Unterstützung und Führung bitten, daß wir den rechten Weg finden
können. Die
Strahlen der Heilung geben uns den Segen der Engel und Heiligen, sie können
uns Kraft und Führung schenken.
Auch diese Phase bringt viele Hindernisse und Widerstände, manchmal geht es in
einer Behandlung zurück in das Trauma einer anderen Inkarnation. Der Eigenwille,
der Wunsch, sein Leben selbst bestimmen zu wollen, ist ein großes Hindernis und
benötigt langjährige Läuterung. Psychische Fähigkeiten, die sich manifestieren,
dürfen nicht zu einem Egotrip oder in verwirrte Zustände führen. Immer wieder
muß ich mich daran erinnern: sei gut zu dir bedeutet das gute, reine Herz für
andere zu entwickeln, sonst nichts. Dann entwickle ich nach und nach einen
Geist, der stärker ist als das Auf und Ab des äußeren Schicksals, einen Geist,
der gleichmütig unangenehme Situationen zu ertragen, wenn nicht sogar in
positive Lernerfahrungen und in geistiges Wachstum umzuwandeln vermag.
Und dann ... eines Tages ... hebt sich der Schleier und wir treten ein in ein
Leben im Licht und sind nun dauerhaft mit dem Göttlichen verbunden, die geistige
Welt wird unser Heim, unsere Nahrung, unser ganzes Streben. Die Vollendung ist
dann erreicht, wenn jeder Impuls, jeder Gedanke, jedes Gefühl in uns dann gut,
heilsam und segensreich ist für alle Wesen, mich selbst eingeschlossen.
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Aus dem Text von Shantideva, dem
Bodhicaryavatara, der Anleitung auf dem Weg zur Glückseligkeit, stammt das
tägliche Gebet von S.H. Dalai Lama:
"So lange wie der Raum besteht, und
so lange wie Lebewesen existieren, möge es auch mich geben, um die Leiden
der Wesen zu beenden."
Was für eine Intention! Was für eine
Geduld spricht daraus.... . In unserer heutigen Kultur erscheint eine
solche Denkweise eher als weltfremd, stattdessen kommt täglich neue
Esoterik-Werbung auf den Markt, die sofortige Erleuchtung und Heilung
verspricht. Das ist denkbar ungeschickt, denn die geistige Entfaltung ist
ein langer, langer Lernprozeß, der viel Geduld von uns verlangt. So
trippeln manche Esoteriker von einem Seminar zum anderen, von einem Guru
zum nächsten, und sind doch schnell wieder enttäuscht, wenn die erwartete
Schnell-Lösung nicht funktioniert. S.H. Dalai Lama geht da viel
geschickter vor und weist von Anfang an darauf hin, daß wir eher in 5-
oder 10-Jahresabschnitten spürbare Fortschritte machen können. Dann gibt
es keine kurzsichtigen Erwartungshaltungen mehr.
Und noch etwas verbinde ich mit
diesem Gebet: ... so lange wie der Raum besteht... . Wie schnell sind wir
entmutigt, verlieren uns in unheilsamen Geisteszuständen, denken, daß das
Leben nichts Gutes mehr hat und ver-zweifeln. Da ist die Geduld, die
Fähigkeit gleichmütig widrige Umstände zu ertragen, verloren gegangen. Und
oftmals machen wir die Situation dann noch viel schlimmer als sie ist,
lassen unsere schlechte Laune an anderen raus, und schaffen negatives
Karma. Nur weil wir immer wieder eine schnelle Lösung erwarten.
So lange wie der Raum besteht ....,
dann erst will ich an meinem Ziel ankommen und zufrieden sein können. Bis
dahin übe ich mich in Gelassenheit. Diese Lebenseinstellung ist äußerst
vorteilhaft, denn sie relativiert das momentane Leiden, mit dem wir uns
sonst völlig identifizieren würden. Mit dieser Ausrichtung verliert das
Leiden, das wir gerade erleben, seine Macht über uns, wir gehen nicht mehr
unter in leidvollen emotionalen Zuständen.
Es liegt an mir, womit ich mich
identifizieren möchte, wie weit ich meine Ziele stecke, wo für mich
Zufriedenheit beginnt oder Frustration. Die 10000 Dinge wandeln sich und
sind allesamt unbeständig, diesen Körper, in dem ich wohne,
eingeschlossen. Warum soll ich mich von vorübergehenden Phänomenen so sehr
aus dem Gleichgewicht bringen lassen?
So lange wie der Raum besteht ...,
dann bin ich weniger gefangen in der derzeitigen Situation und gebe mir
selbst den Raum, mich zu entfalten, mein wahres Wesen zu entdecken. Ich
kann mich fallen lassen in der Meditation oder Reiki-Behandlung und
einfach schauen, was das Leben so an Auf und Ab bringt. Ich weiß, jeder
Zustand ist vorübergehend, und erfahre eine neue Weite im Geist.
Und wieviel "Raum" gibst du dir und
deinem Leben ... ?
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